Gedanken in MilchschaumImmer, wenn er irgendwohin zu spät kam, bekam er einen trockenen Mund und verspürte ein leichtes Ziehen im Bauch. Er hatte sich schon daran gewöhnt, dieses Ziehen häufig zu fühlen, denn er konnte nicht anders. Ausgerechnet heute! Dabei hatte er sich doch solche Mühe gegeben pünktlich zu sein, hatte sich sogar einen Wecker auf den Tisch gestellt, der sich lautstark, aber sehr pünktlich gemeldet hatte. Dieses hatte wiederum zu ziemlich vielen genervten und aggressiven Blicken geführt. Er hatte seine Bücher zugeschlagen, seinen Rucksack voll gestopft, ihn unter den Arm geklemmt und war gerannt. Erst nach Hause unter die Dusche, dann zu seinem Kleiderschrank, um eine halbwegs saubere Jeans zu finden, was seit dem Auszug bei seinen Eltern und die damit eintretende Vernachlässigung seiner Wäsche, sehr selten der Fall war. Er hoffte eine Hose in diesen Zustand zu finden. Schließlich entschied er sich für eine schwarze, dort würde man den Dreck nicht so sehen. Das wusste er von seiner Mutter. Seine Mutter hatte auch Bauchschmerzen gehabt, als er auszog." Seinem Vater musste er versprechen, es in der Stadt mal richtig krachen zu lassen, er lachte und schlug ihm fortwährend auf die Schulter, dass er die Zähne zusammenbeißen musste."Die Weiber sollen echt Chili sein, du hast verdammtes Glück, mein Junge!""Lass, lass doch den Jungen, Bernhard, der ist doch noch nicht so weit, lass doch, lass doch!"Das war wieder seine Mutter, die ihm Tränenküsse auf die Wangen und ein Paket mit Broten in die Hand gedrückt hatte, das er an der nächsten Straßenecke einer Mülltonne überantwortete. Nun lebte er seit drei Monaten hier und eigentlich gefiel es ihm ganz gut, ja sogar vielleicht etwas besser. Plötzlich dachte er wieder an ihren Mund und sein Bauch brummte. Warum ließ er sich nur immer so leicht ablenken? Sie fragte sich, warum sie heute so viele Blicke auf sich spürte und versuchte sich auf ihr Buch zu konzentrieren. Ein wirklich gutes. Vielleicht konnte man es ihr ja ansehen? Diese Vorstellung gefiel ihr, auch wenn sie nicht genau hätte benennen können, warum. Sie schlug die nächste Seite um, überflog die Zeilen, flüsterte die Worte, und vergaß sofort alles, was vor ihr in kleinen, dunklen Zeichen zu sehen war. Sie lächelte und blätterte trotzdem wieder um, denn sie mochte das Geräusch - dieses leichte Knistern und vorsichtige Rauschen. Außerdem mochte sie es, das weiche und dicke Papier in den Spitzen ihrer Finger zu fühlen, welches an den Ecken ein wenig spitz, ja manchmal sogar scharf war, dass man sich daran schneiden konnte. Wieder sah sie auf ihre Armbanduhr: drei Uhr. Eigentlich war es nun so weit. Warum hatte sie nur nicht auf ihre Freundin gehört? Jetzt saß sie hier und wartete."Du musst die immer warten lassen! Das macht dich für die erst so richtig interessant!"Sie wollte nicht interessant sein, na ja vielleicht ein bisschen.Aber irgendwie ärgerte sie sich jetzt doch ein wenig, dass sie nicht noch auf dem Weg war und beobachtete einen jungen, halbwegs attraktiven Mann mit Schürze, der ein Tablett mit drei hohen Weingläsern sehr gekonnt, vor sich her balancierte und sie dann auf einem Tisch, der dem ihrem gegenüber lag und an dem drei Herren in Anzügen halblaute Gespräche führten, lächelnd abstellte. Sofort kam ihr der Gedanke, sich auch einen Rotwein zu bestellen. Bestimmt lag das nur an ihrer Lektüre.Auf der nächsten Seite schliefen sie schon wieder miteinander, der Chinese und ein 15-jähriges Mädchen. Dieses Mädchen, was jeder sofort mit der Autorin gleichsetzt, erzählt in diesem Buch rückblickend als alte Frau diese Geschichte. Ihre Geschichte von der Entdeckung ihrer Sexualität und der Liebe, sowie die Geschichte ihrer Beziehung zur Mutter. Jennifer konnte sich gut mit den Problemen der Ich-Erzählerin identifizieren. Wenn auch nur, was die Probleme mit der Mutter betrafen. Leider.Jennifer mochte die Beschreibungen. Beim Lesen dachte sie immer häufiger daran, mit der Ich-Erzählerin die Positionen zu tauschen. Sie genoss ihre Fantasien und das Gefühl der Berührung ihrer Haut, während sie mit ihren Augen über die Buchstaben glitt. Und plötzlich spürte sie ihn neben sich, spürte leichte Übelkeit und Hitze in sich aufsteigen und versuchte zu lächeln, während sie den Kopf hob und das Buch zuschlagen wollte. Er konnte nicht sprechen, als er sie dort sitzen sah; die Beine unter dem Tisch übereinander geschlagen, den Kopf in ein Buch gesenkt. So war sie. Ihr langes Haar, braun und ziemlich lang. Sie hatte den Rücken gegen den Stuhl gedrückt, sodass er die wirkliche Länge heute nur, wie auch sonst, erraten konnte. Denn sie hielt, wenn sie sich sonst begegneten, ihr Haar in einem geflochtenen Zopf verborgen. Es freute ihn, dass sie sich heute offenbar anders entschieden hatte. Während er sich neben sie stellte, sah er über ihre Schulter einzelne Worte, die ihre Augen gierig aufzunehmen schienen. "Hallo, tut mir Leid, dass ich so spät bin, aber ich musste noch Bücher zurückgeben." Er wollte sich setzen, blieb aber dennoch stehen. Sie lächelte und legte ihr Buch beiseite: "Kein Problem! Ich habe mich sehr gut unterhalten." Sie sah kurz zum Buch, dann ebenso lange in sein Gesicht. Er nickte und sagte, es wäre ein gutes Buch und das war gelogen, denn er hatte noch nie ein Wort darin gelesen. Sie sagte, die Sprache und die Beschreibungen darin gefielen ihr sehr gut. Er nickte und räusperte sich. Dann fragte er: "Ist das dein Lieblingsbuch?" Sie lächelte, überlegte kurz und antwortete, sie hätte sehr viele Lieblingsbücher. Je nach Stimmung. Er nickte und sagte, er würde das kennen. Jennifer fragte ihn, ob er nichts trinken wolle, woraufhin er lächelte, nickte und sagte: "Ich nehme das Gleiche. Wenn du nichts dagegen hast?" Sie sah ihn an, hob die Hand und bestellte einen Milchkaffee. Mit extra viel Schaum. Einen Augenblick, einen ziemlich langen, sagten beide nichts. Sie lächelte und er räusperte sich immer wieder, wusste selbst nicht warum, ärgerte sich darüber und versuchte es zu unterdrücken. Plötzlich sah er sie wieder in der Bibliothek sitzen, an einem langen, braunen Tisch, das Gesicht hinter einem Buch verborgen, ähnlich wie heute. Es war sehr still um sie herum gewesen und er hatte sofort das Atmen eingestellt, als er sie gesehen hatte. Wenn er ehrlich war, hatte er es einfach vergessen. Er war zu ihr gegangen, hatte sie gefragt, ob er sich dazusetzen könnte und war froh, als sie gelächelt und ihm einen Platz frei geräumt hatte. Plötzlich stellte er sich vor, wie er mit ihr Hand in Hand spazieren gehen würde, sich mit ihr im Park auf die Wiese legen und ihren Atem hören würde. Die Sonne würde sich in dem Meer glänzend spiegeln und sie würde lachen. Seine leisen Worte würden sie schließlich dazu bringen, ihn zu küssen. Dabei würden ihre Haare auf seinen Bauch fallen und er würde ebenfalls lachen müssen. Lachst du über mich, würde sie fragen, ein bisschen verunsichert, ein bisschen scheu und kindlich. Er würde lachen und den Kopf schütteln, sie zu sich herüber ziehen und mit seiner Zunge sanft in sie eindringen. Sie würde ihn gewähren lassen, ihm sogar ein wenig helfen. ihm den Hals küssen und ihn zu ihren Brüsten führen. Sie würden sich küssen, küssen und küssen. Dann würde sie ihm die Hose öffnen und sich vor ihn knien und ihn mit ihren Lippen sanft und lange verwöhnen, ihn verwöhnen und fangen. Er würde ihre Hüften ergreifen und sie zu sich ziehen. Sie würden küssend ineinander sein und sich gegenseitig auf die Lippen beißen; sanft, schüchtern und immer wieder. "Hallo? Hörst du mir zu?" Ihre Stimme drang zu ihm, leise und er lächelte und spürte ihre Lippen. "Erde an Paul? Paul, bist du noch da?" Er erschrak. Hoffentlich konnte man ihm nicht ansehen, woran er gerade gedacht hatte. Ihm wurde heiß und ein wenig übel. Er hoffte, dass sie in den nächsten Minuten nichts fallen ließe, versuchte normal zu atmen und blickte vorsichtig an seiner Tasse vorbei nach unten. Plötzlich gab ihre Handtasche ein Geräusch von sich und sie blickte auf das Display ihres Handys. Wer sich auch immer dort gerade gemeldet hatte, Paul dankte ihm inständig. Nein! Warum gerade jetzt? Er lächelte, fragte zum Glück nicht nach und starrte in seine leere Kaffeetasse. Sie las: "Hallo Jenny! Du musst unbedingt sofort zum Hotel kommen. Sie sollen da sein. Vielleicht. Bestimmt. (Mit drei Ausrufezeichen und einem Smiley dahinter.) Du musst kommen! Sofort! A. " Mit zusammengepressten Lippen tippte sie eine Antwort und schaltete das Telefon ab, bevor sie es in der Tasche verschwinden ließ. Er fragte sie, ob es wichtig gewesen wäre und sie schüttelte den Kopf. Dann sagte sie: "Wir waren bei Büchern stehen geblieben. Du hattest gesagt, sie wären so genügsam", er nickte und lächelte. Dann sprach sie weiter und versuchte dabei, das Bild von dem Chinesen, das sich immer wieder auf Pauls Gesicht legte, nicht zu deutlich zu sehen, was ihr immer schwerer fiel, denn es gefiel ihr. Besonders, wenn das Gesicht zu Paul wurde. "Ich finde auch, dass sie, also die Bücher, nichts von einem erwarten. Sie sind einfach immer so, wie sie sind. Die Worte. Und du kannst so sein, wie du willst. Es ist ihnen egal, in welcher Stimmung du bist, wenn du dich zu ihnen begibst, wenn du mit ihnen deinen Schmerz und deine Freude teilst. Sie erzählen dir die Geschichte, die du hören willst, auch wenn sie eigentlich eine ganz andere erzählen sollen. Sie helfen dir und sind immer für dich da. Manchmal besser und ehrlicher als jeder Freund." Als sie merkte, was sie eben gesagt hatte, sah sie ihn unsicher an und auf einmal hätte sie am liebsten geweint. Sie konnte nicht mehr atmen und begann zu zittern. Er lächelte, griff über den Tisch, sie fühlte seine Finger an ihren, und flüsterte: "Aber eben nur manchmal". |
Im Grunde finde ich deinen Text ganz gut. Das Thema gefällt mir. Du hättest es allerdings ein wenig stärker herausarbeiten können, dass Bücher eben für manche Menschen eine ganz besondere Bedeutung haben.
Ansonsten hast du oben vergessen einen Absatz zu lassen. Der Perspektivenwechsel kommt ansonsten etwas zu plötzlich.
Und diese Stelle an der ihre Haare ihr ins Gesicht fallen... ich habe selber sehr lange, schwere Haare und kann da, glaube ich, aus Erfahrung reden, dass du es etwas übertrieben hast. Wenn da Wind wäre, dann okay, aber so einfach fällt einem nicht alles ins Gesicht und ist nicht mehr zu bändigen.
Gruß el
man ist das ein schöner text! habe nicht einmal daran geddacht, dass er zu lang wäre, nicht einmal gescrollt umzu schauen, wann er endet. er ist spannend und man hofft mit und fiebert mit. er ist sehr einfach geschieben, und das macht ihn so zugänglich. er ist erotisch und voller respekt; und er ist so unbedarft, voller vertrauen. für mich ist das thema "buch" genug ausgearbeitet. bei dem perspektivwechsel gebe ich el recht, da kam ich auch nicht ganz mit und musste zurück, es nochmal lesen. fehlt aber lediglich der absatz. die sache mit den haaren: ich denke, dass das die sicht des erzählers darstellt, und ich finds ok. schöner text.