Das Fenster zum Park Zwei Uhr. Die Schwester ging heute schon das zweite Mal in das Zimmer. Alles war ruhig. Sie nahm ihren Krankenblock und notierte die Fieberwerte der beiden Patienten und ging. Langsam wurde es hell. Das Zimmer war im ersten Stock des städtischen Krankenhauses. Es war ein heller, steriler Raum mit zwei Betten. In dem am Fenster lag ein Mann mit blonden Haaren und eingefallenem Gesicht, noch schlafend. Neben ihm war der Andere schon erwacht, er hatte sein Bett an der Tür stehen. Er fühlte sich heute besonders schwach, er würde wahrscheinlich bald sterben. Er nahm den Plastikbehälter vom Nachtisch. Erleichtert legte er den nicht einmal halbvollen Behälter zurück. Er sehnte sich nach Besuch. Die Frau des Blonden kam alle paar Tage. Manchmal brachte sie ihre Kinder mit. Das verursachte bei ihm immer Schmerzen in der Magengegend und er fühlte sich dem Tod jedesmal ein Stück nähergebracht. Er hatte niemand, der ihn besuchen würde. Er hatte sich vor dreizehn Jahren scheiden lassen und seine Eltern waren beide im Krieg umgekommen. Der Vater fiel an der Ostfront. Seine Mutter wurde von einer Fliegerbombe getroffen. Damals spürte er das erste Mal die Leere in sich, ein Gefühl, welches ihn nie mehr verließ, auch jetzt nicht. Das war dann auch der Grund, warum seine Ehe auseinanderging. Er hatte danach keinen Versuch mehr unternommen, eine Beziehung einzugehen. Als er noch gesund war, ging er jede Woche ins Freudenhaus, um seinen Drang abzubauen, aber damit war jetzt Schluß. Er würde bald sterben. Der Blonde erwachte. Das Sonnenlicht blendete ihn. Der Andere wollte gerne aus dem Fenster schauen. Heute würden viele Leute dort spazieren gehen. Der Blonde schaute hinaus und fing an, wie jeden Morgen, dem anderen von draußen zu erzählen. Das Frühstück kam. Er wollte unbedingt einen Blick aus dem Fenster werfen, es zehrte ihn innerlich auf, vom Anderen erzählt zu bekommen, wie es dort aussieht, was für Menschen dort spazieren gehen. Er würde gerne am Fenster liegen, um jederzeit hinausschauen zu können. Es mußte ein herrlicher Ausblick sein. Der Blonde hatte ihm erzählt es ist ein Park mit großen wundervollen Bäumen. Es sind viele Leute dort unterwegs: Alte Damen mit ihren Pudeln, junge Mütter mit ihren Kindern, ein Spielplatz. Der Blonde hatte einen Anfall. Er schreckte von seinen Gedanken auf, als er ihn Husten hörte. Die Schwester kam sofort und gab ihm sein Medikament. Der Blonde war am Ende seiner Kräfte. Und der nächste Anfall konnte für ihn immer den Tod bedeuten. Es war ein schweres Lungenleiden. Beide lagen jetzt schon wochenlang im gleichen Raum. Sie sprachen selten miteinander, eigentlich nur über das, was vor dem Fenster war, und wie gerne sie dann auch da unten wären. Der Mann an der Tür wünschte sich oft, dort unten im Park auf einer braunen Holzbank zu sitzen und den Kindern beim Spielen zuzuschauen. Er hatte keine. Der Blonde berichtete jetzt über ein Liebespärchen, das sich hinter einem Baum heimlich küsste. Von den Vögeln, die frei wie der Wind durch den Park flogen. Es wurde Abend. Abendessen. Routinekontrolle des Stationsarztes. Sie schliefen ein. Der Mann an der Tür wurde wach, der Blonde hatte einen Anfall. Wenn nicht bald die Schwester kam, um ihm sein Mittel zu geben, würde er jämmerlich ersticken. Der an der Tür wollte bereits den Rufknopf drücken, zog seine Hand jedoch zurück. Er würde die Schwester nicht rufen. Morgen würde er am Fenster liegen.
Der Blonde wurde morgens tot aufgefunden. Der Mann an der Tür wurde ans Fenster verlegt. Vor dem Fenster war die kahle Wand einer Fabrikhalle, man sah keinen Baum und keinen Menschen. Am nächsten Tag wurden zwei neue Patienten in das Zimmer verlegt, in dem der Blonde und der Andere die letzte Zeit ihres Lebens verbrachten.
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