Stau
Stau
Rolf wartete schon geraume Zeit im Stau. Sein Auto hatte sich innerhalb von zwei Stunden maximal dreißig Meter bewegt. Er fing an zu fluchen: „Verdammter Scheißdreck.“ Da saß auf einmal der liebe Gott neben ihm im Beifahrersitz: „Beruhig dich, Rolf, es gibt doch schlimmeres.“ Rolf fiel die Kinnlade nach unten. Dann kam er zu sich und raunte: „Schnall dich wenigstens an.“ Gott lächelte und tat dies. „Warum kommst du ausgerechnet jetzt zu mir? Warum nicht damals als ich Profi-Tischtennisspieler werden wollte?“ „Weil die Dinge nun mal so passieren sollen, wie ich es will.“; erwiderte der liebe Gott und bot Rolf eine Marlborozigarette an. „Außerdem war es zu deinem Besten. Du weißt doch, dass der endgeile Jens Rablonski, seines Zeichens Profi-Tischtennisspieler, letzte Woche von einer militanten Lesbengruppe entführt und als Geißel genommen wurde. Dessen Platz hättest du eingenommen.“ Rolf war verdutzt: „Warum kümmerst du dich dann denn nicht um so wichtige Sachen wie die Rentenreform und die Ökosteuer?“ Gott winkte ab: „Das wird der Onkel Gerhard schon richten. Ich habe großes Vertrauen in ihn, bin selbst Sozialdemokrat. Sei doch froh, dass ich die Wende herbeigeführt habe, sonst hätte die SED das Weihnachtsfest abgeschafft und Karl Marx würde euch jedes Jahr in roter Uniform politische Manifeste bringen. Wäre dir das lieber gewesen?“ Rolf wurde rot vor Wut: „Ein Scheiß wäre mir lieber gewesen.“ „Na hör mal, denkst du, ich habe nichts besseres zu tun als mich um ein kleines mitteleuropäisches Land zu kümmern?“ Worauf Rolf verlegen wurde und am Scheibenwischerschalter herumspielte. Gott geriet in Fahrt: „Ihr Deutschen denkt doch immer, ihr wärt der Mittelpunkt der Welt! Ich gebe euch so geniale Talente wie Einstein, Goethe, Schiller und Günther Jauch und ihr verschwendet alles. Kriege entfachen, Waffen bauen, Handtücher auf Liegestühle legen, euch arrogant benehmen, darin seid ihr groß. Doch wenn ich euch auch nur ein paar Jahre allein lasse, weil ich auf eure Vernunft vertraue, baut ihr Blödsinn. Zweimal ließt ihr euch von Österreichern in die Irre führen, erst mit Adolf Hitler und dann mit DJ Ötzi.“ Rolf protestierte: „Die hast du doch erschaffen.“ Gott musste verlegen eingestehen: „Okay, okay, dann ist eben was schief gelaufen. Fünf Minuten nicht aufgepasst und schon hat man den Salat. Shit happens.“ Beide schwiegen sich an. Rolf wurde das jetzt echt zu blöd und er beleidigte den lieben Gott: „ Haben sie dir ins Hirn geschissen?“ Gott zog die Augenbrauen nach oben und Rolf fluchte weiter: „Shit happens? Fünf Minuten? Du hast die schönsten Strände der Welt, die Gestirne und paradiesische Landschaften erschaffen und dann machst du so einen Humbug! Hast du Langeweile oder was?“ Gott rülpste zweimal laut und sprach dann: „Ich habe euch Menschen gleich meiner selbst gemacht und euch mit allen Begabungen des Kosmos gesegnet. Ich habe euch zu den Herrschern über die Welt gemacht und euch eurer Vernunft überlassen. Und was macht ihr? Ihr näht kleinen Mäusen ein Ohr auf den Rücken, züchtet gleich aussehende und genetisch identische Schafe und testet Kosmetika an Ratten und Kaninchen. Ihr findet tausend Arten euch gegenseitig zu verletzen, doch schafft es nicht einander zu lieben und zu vertrauen. Ihr rühmt euch mit dem Bau hochpräziser Waffen und redet von Kollateralschäden, wenn die Bombe ihr Ziel verfehlt und Zivilisten sterben. Aus Geldgier rottet ihr Tiere und Pflanzen aus. Und das Schlimmste ist: Ihr tötet euch selbst. Und da fragst du, ob ich Langeweile habe?“ Der liebe Gott ließ einen fahren und als er Rolfs betrübtes Gesicht sah, lehnte er sich selbstzufrieden zurück. Rolf hingegen schwieg kurz. Dann wurde er wieder sarkastisch: „Dann schick doch wieder 'ne Sintflut oder irgendwas anderes.“ Der liebe Gott seufzte: „Wieso sollte ich schon wieder die harte Arbeit von sieben Tagen vernichten?“ Rolf schnauzte ihn an: „Egoist:“ Jetzt wurde Gott zornig: „Ihr wart, seid und werdet immer uneinsichtig bleiben. Der Teufel soll euch holen.“ Gott verursachte einen Kurzschluss in Rolfs Wagen und mit einem grimmigen „Möge der ADAC mit dir sein“ war er plötzlich verschwunden. Rolf kontaktierte mobiltelefonisch den Pannendienst, welcher eine Stunde später eintraf. Die bärengesichtige Ursula Büffel klopfte ihm gegen die Scheibe und sagte mit maskuliner Stimme: „ADAC. Die gelben Engel. Wat gibt’s denn?“ Rolf machte sich Gedanken: Wie ein Engel sieht die nicht aus. Sie wog mindestens 180 Kilogramm, hatte eine Warze mit einem Durchmesser von fünf Zentimetern im Gesicht und kaute ihren Kaugummi mit solch erotischer Sinnlichkeit, wie es sonst nur libysche Kamele zu tun vermögen. Rolf starrte ständig nur auf ihren imposanten Schnurrbart und stotterte schließlich: „Der liebe Gott hat einen Kurzschluß bei mir verursacht:“ „Natürlich und ich bin Mutter Theresa.“; sagte Ursula Büffel; sie spuckte auf die Straße, wischte ihren Schweiß am Ärmel ab und stapfte zu ihrem Wagen zurück. Rolf hörte sich die alten Howard Carpendale-Kassetten an und beschloß, den Rest seines Lebens im Auto im Stau zu verbringen. Und so geschah es. Er wartete weitere 57 Jahre im Stau.
Krass, was man mit Papier und Tinte alles anrichten kann. |