Veröffentlichung von NB vom 30.01.2014 in der Rubrik Rekonstruktion.
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Starkstrom Es war wieder einer dieser Tage, an denen alles an, in und um mich herum unter Strom stand. Dieser "Zustand" war mir sehr vertraut. Meine bewussten Gehirnfunktionen schienen mir zu entgleiten. Es war wie ein körpereigener Rausch. Wollte ich aus diesem erwachen?
Ich lag auf den kalten Fliesen, sog die Kälte in mich auf und gab ausgleichend die durch meine Adern strömende Wärme an die Umgebung ab. Meine Augen schlossen sich und ich sah durch meine Lider ein weißes Rauschen vor ihnen. Meine Hände griffen instinktiv nach der Stechpflanze, welche ich am Vortag vergessen hatte, auf die Fensterbank zu stellen. Ein kehliges Seufzen entkam mir, als ich die Pflanze vorsichtig über die Innenseite meiner Arme gleiten ließ. Schnell hatte ich leichte Striemen. Als ich meine Haut an der Stelle leicht zusammendrückte, trat ein kleiner Blutstropfen hervor, den meine Lippen auffingen. Ich wiederholte das einige Male, bis diese Stellen sich in ein leichtes Blau verfärbten. Beim Blick in den Spiegel sah ich, dass mein Lippenstift verschmiert war. Meine Hände begannen, noch ehe ich mich von diesem nicht fassbaren Spiegelbild abwenden konnte, ungeschickt mein leichtes Hemd abzustreifen.Meine Rippen streckten sich meinen Händen entgegen und wurden von meinen kühlen Fingern gegriffen. Sie drängten sich zwischen jede einzelne. Ein Zittern und Gegenzittern. An meinen Hüften angekommen waren sie nicht mehr kalt. Mein Blick aus geweiteten Augen fiel noch einmal zu dem Topf mit der Stechpflanze. Nach kurzem Zögern griff ich danach und zog mit die Nadeln über den Bauch - alles an und in mir zog sich zusammen, dann setzte ein brennender Schmerz ein, welcher mich verloren die Luft anhalten ließ. Das weiße Flackern färbte sich rotschwarz. Ein geräuschvolles Ausatmen. Schluchzend. Wenige Sekunden später konnte ich spüren, wie weitere Blutstropfen mich verließen, an meiner Bauchdecke entlang über die Rippen rannen. Mein Atem stockte und ich spürte den Drang in mir, sie zu verteilen und meine Fingerkuppen in meine Wunden zu legen. Ich lechzte nach dem Brennen, dass die salzige Haut meiner Fingerkuppen hinterließ und forderte immer mehr davon ein.
Mit meinen Augen fotografierte ich die geschwundene Haut, die in dem Moment mehr Leben als der Rest von mir in sich trug und mein Körper erreichte den Zustand einer vollkommenen Schwere.
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