Die GEZ und ich
Die GEZ und ich
Von Robin Hoffmann
Es war dieser fürchterliche Alptraum, der mich dazu bewogen hatte, das ganze durchzuziehen. Ich leide schon seit längerer Zeit an durch Gewissensbisse verursachten Schlafstörungen und wenn ich dann endlich einmal einschlafen kann, dann habe ich mindestens drei Alpträume pro Nacht. Doch dieser steigerte meine Angst in bisher unerreichte Höhen. Ich stehe vor einem kleinen lukenartigen Fenster, das vergittert ist und draußen hinter dem Hof mit der hohen stacheldrahtbehangenen Mauer steht meine Frau mit meinen zwei jungen Töchtern, die eine ist sieben, die andere drei Jahre alt, und sie winken mir zu. Mutlos winke ich zurück und dann sind die drei auch schon in den Bus eingestiegen und für die nächsten zwei Wochen wieder einmal verschwunden. Ich verlasse den Raum, um mir mein frisches Bettzeug abzuholen. Vor der Zelle lehnen drei derbe Männer mit verschränkten Armen lässig an der Wand. Ich wage einen schüchternen Seitenblick und schleiche schnellstmöglich weiter. >>Wer is’n der Typ?<<, fragt Gerald, der Vergewaltiger. >>Das is der Neue.<<, antwortet ihm Rocko, der Totschläger und spuckt auf den Flur. >>Und was hat er uff’m Kerbholz?<< >>Der hat schwarz gesehen. Ein typischer GEZ-Preller. Was für ein verdammtes asoziales Schwein.<< Emre, der Intensivtäter, zieht zischend die Luft durch die Zähne ein und flucht ausgedehnt.: >>Cüs, Lan! Na, der wird kaum zwei Tage überleben. Verpassen wir dem eine Abreibung?<< Dämonisch grinsend nickt Rocko, der Totschläger: >>Darauf kannst du Gift nehmen.<< Um mich ein wenig abzulenken, suche ich das Gemeinschaftszimmer unseres Blocks auf. Die JVA Moabit hat keine Kosten gescheut und für uns Häftlinge neben neuen IKEA-Möbeln auch ein Fernsehgerät samt Digital Receiver und DVD- und Blu-Ray-Disc-Player zur verfügung gestellt. Studien haben ergeben: Wer fernsehen darf, vergewaltigt weniger oft seine Mithäftlinge. Ich setze mich auf einen IKEA-Stuhl und greife mir die Fernbedienung. Das erste Mal seit meiner Ankunft fühle ich mich erleichtert. Ich habe den Finger gerade auf dem roten Knopf, als ich hinter mir eine Stimme vernehme: >>Das könnte dir so passen, dass du deine Spielchen hier drinnen weiterspielen kannst, Fremder.<< Ich drehe mich um. Das ist Rocko, zusammen mit meinen zwei anderen Zellennachbarn. >>Ich weiß nicht, wovon ihr redet.<< >>Wir wissen über dich Bescheid.<<, sagt Gerald und die drei kommen ein Stück näher. >>Du musst bezahlen.<<, sagt Emre, der sich bisher zurückgehalten hat und jetzt erst sehe ich das blitzende Stück Metall, das er in seiner Faust verborgen hält. Ein angeschärfter Löffel. Mein Gott, er wird mich umbringen! >>Natürlich zahl ich.<<, stammele ich noch hilflos, doch schon haben sie mich umringt. >>Das wird dir eine Lehre sein, du asoziales Schwein. Ab jetzt wirst du ARD und ZDF nicht mehr hintergehen.<< Vom Schock erstarrt lasse ich die Fernbedienung fallen. Die Wärter sitzen nur drei Räume weiter, doch ebenso gut könnten sie am anderen Ende der Welt sein. Rocko drückt meinen Körper gegen die Wand, Gerald zieht mir den Kopf an den Haaren nach hinten und schon nähert sich Emres blitzend scharfer Löffel langsam meiner Kehle, ich denke noch, hätte ich wenigstens noch einmal Böhmische Knödel mit Rotkraut und Gulasch gegessen, ein Sternburg Export getrunken und eine Mentholzigarette geraucht und hätte ich doch die beschissenen GEZ-Gebühren gezahlt, doch nun schreie ich und schreie und... ...schon saß ich aufrecht keuchend und schweißbedeckt um Atem ringend in meinem Bett. Ein Traum. Ich war weder in der JVA Moabit noch hatte ich zwei kleine Töchter. Noch war ich ein freier Mann. Ich kämmte mir die verschwitzten Haare aus dem Gesicht, meine Freundin murmelte etwas, schlug hart nach mir und schlief dann weiter. Das tut sie öfters. Für den Rest der Nacht fand ich keinen Schlaf. Das Essen, das sie mir zum Frühstück auftischte, rührte ich nicht an, stattdessen trank ich Unmengen schwarzen Kaffee und rauchte Kette. Eine Zigarette nach der nächsten wurde von meinen zittrigen Händen ausgedrückt. Meine Freundin fragte, was mit mir los sei. >>Du, so kann das nicht weitergehen. Ich kann nicht länger mit dieser furchtbaren Schuld leben. Ich werde mich freiwillig stellen, vielleicht werden sie dann Gnade walten lassen.<< Mit diesen konfusen Worten ließ ich sie am Frühstückstisch sitzen und besorgte mir die Gelben Seiten. Mal sehen. B, B, B...Bäckerei Kehrmann, Brauerei Schultheiss, Bürgeramt Moabit. Das war es, ich wusste, dass die mir weiterhelfen konnten, hatte ich einst doch die Formulare zur GEZ-Befreiung für Bafög-Studenten dort liegen gesehen. Meine Rettung. Die wussten Bescheid und die mussten mir helfen. Ich wählte die Nummer. Aber niemand ging ran, stattdessen lief in der Warteschleife der Song „I’ve been looking for freedom“ von David Hasselhoff, dem Mann, der behauptete, er hätte mit diesem Song die Wende herbeigeführt. Unweigerlich musste ich mich an meinen Knasttraum erinnern. Dann brach die Musik abrupt ab. >>Karitzke hier?!<< >>Hoffmann dort.<<, antwortete ich, >>äh, spreche ich mit dem Bürgeramt Moabit?<< >>Na klar!<< >>Abteilung für GEZ?<< >>GEZ, klar. Ghetto-Einwohner-Zentrale. Wat ham’se denn uff’m Herzen? Wenn’se sich beschwern wolln, weil Rosis Bierstübchen zujemacht hat, muss ick Ihnen leider sagen: Da könn wa Ihnen ooch nich weiterhelfen. Es is, wie es is.<< >>Nein, eigentlich rufe ich an, um die Formulare zur Befreiung von den Fernseh- und Rundfunkgebühren für Studenten, deren Lebensunterhalt vom Bundesausbildungsförderungsgesetz abhängig ist, anzufordern.<< >>Hä? Wat für’n Zeuch?<< >>Ich will mich bei der GEZ melden.<< >>Wieso das denn?<< >>Na ja, ich sehe schwarz. Schon sehr lange.<< >>Is Ihr Empfang denn schlecht?<< >>Nein.<< >>Ham’se so’ne Bildflackerstreifen oder so wat?<< >>Nein.<< >>Rauscht der Ton?<< >>Nein.<< >>Empfang’se etwa keen RTL II?<< >>Doch, schon.<< >>Und Sie wurden bisher noch nich erwischt?<< >>Nein.<< >>Na, wo is denn dann Ihr Problem?<< >>Die moralische Schuld. Ich nehme eine Leistung in Anspruch, ohne dafür die Gebühr zu entlohnen.<< >>Moralische Schuld! Gebühr entlohnen! Ham’se Tomaten uff’n Augen? Hier in Moabot zahlt niemand Gebührn, Steuern oder so wat und erst recht nich für die Heinis vonne GEZ. Warum solln Se denn für wat zahln, wat se kostenlos ham könn, dit vasteh ick nich.<< Einen Moment lang dachte ich über seine Worte nach. >>Und Sie meinen, hier in Moabit würde mich keiner kontrollieren?<< >>Nich in hundert Jahrn! Aber passen Se uff, da jibt et so’ne paar Jugendliche, die geben sich als GEZ-Leute aus, kommen dann in die Wohnung, behaupten, das Zeuch wär nich anjemeldet und nehmen dann die dicken Plasmafernseher mit. Obwohl, dicke sind die ja nich, eher dünn, so dünn, dass die schnell kaputt gehen. Das will die Industrie ja, dass der kaputt geht, da müssen die Leute dann immer neuen Schrott koofen. Und die verdienen dann mächtig jewaltig!<< >>Äh, ja, danke, ich wird’s mir merken. Wiederhören.<< Nach dem Telefonat verfiel ich in tiefe Grübelei. Seit drei Jahren sehe ich schwarz. Aber ich sehe nicht nur schwarz, ich tue das auch noch bei weitgeöffnetem Fenster, das hat ja auch eine soziale Komponente, da können die anderen mithören, draußen auf der Straße. Ich schäme mich nicht dafür. Bis mich die Moral eingekriegt hat und sie kriegt jeden von uns. Dabei liegt die moralische Schuld doch eindeutig bei den GEZ-Leuten. Was sind das für Menschen, die vor den Wohnungen herumschleichen, ihre Ohren an die Tür drücken und arme Mitbürger bespitzeln. Wahrscheinlich erpressen oder bestechen die auch noch die Nachbarn, damit die Informationen herausrücken und je mehr bei dieser Hexenjagd mitmachen, umso mehr wird unsere Gesellschaft zu einer Gesellschaft von Verrätern. Das schlimmste jedoch ist, dass diese Spione aus ihren Denunziationen Profit schlagen: Von den Strafgebühren eines jeden einzelnen Überführten bekommen die Spitzel eine Prämie aus der Staatskasse. Sozusagen als Anreiz, um auf die Jagd zu gehen. Wahrscheinlich werden diese Agenten im Auftrag von ARD und ZDF irgendwo in Wolfgang Schäubles Stasi-Keller herangezüchtet und mit modernster Überwachungstechnik ausgestattet. Nein, an mir sollen sie nicht verdienen, meine Euros gehören mir. Dann verzichte ich halt lieber auf’s Fernsehen. Lange hielt ich durch. Doch an diesem einen Abend konnte ich der Versuchung nicht widerstehen: Eine Stunde mit den Simpsons auf Pro7 zur besten Abendessenzeit ließ mich meine Prinzipien über Bord werfen. Es war ca. halb sieben und es lief die Folge, in der Homer jammernd zu seiner Ehefrau sagt: >>Aber Marge! Es ist Valentinstag. Gott will, dass wir’s treiben!<< Plötzlich klopfte es zweimal laut an meiner Tür. In unseliger Erwartung sprang ich auf, stellte den Fernseher ab und warf ein Handtuch darüber. Jetzt nur die Nerven behalten! Langsam öffnete ich die Tür und da standen sie nun, früher oder später mussten sie mich ja einmal erwischen. Zwei ernst dreinblickende, ordentlich angezogene Männer in schwarzen Anzügen mit Aktenkoffern stehen vor meiner Haustür. Der eine sieht mich prüfend an: >>Sind Sie Herr Hoffmann?<< Nun ist es zu spät, denke ich mir, ich kann mich ja nicht ewig in Lügen verstricken: >>Jesusmariajosef, ich schwöre Ihnen, ich wollte mich anmelden, aber als das nicht geklappt hat, habe ich beschlossen, nicht mehr fernzusehen, das heute ist ein Ausrutscher, eine absolute Ausnahme, ich werde es nie wieder tun, bitte verschonen Sie mich, bitte erschießen Sie mich nicht, ich werde mich bessern und die Gebühr zahlen, ja, ich kann sogar für Sie arbeiten, ich kenn da eine Menge, die auch die Zahlung prellen. Ich kann Ihnen da zwei Leute anschwärzen, aus’m Wedding, die eine hat früher Drogerien geplündert und der andere hat lange Haare und `nen Bart!<< >>Äh, Herr Hoffmann, also eigentlich...wir sind Zeugen Jehovas und wollen mit Ihnen über Jesus reden.<< >>Ach so, wenn’s nur das ist<<, grinste ich erleichtert, >>na dann kommen Sie mal rein!<< |