Um den Tag in achtzig Zelten (16)
Die Festivalsaison ist fast um. Die gemütlicheren Events geben sich die Klinke in die Hand. Nach drei Stunden Autofahrt stehe ich mit meinem alten, weinroten Golf bei Sonnenaufgang bereits sechs Stunden am Check In eines alten Flughafens, auf dem wir unsere Zelte aufschlagen wollen. Meine Freunde schlafen seit mindestens der Hälfte der Zeit und ich treibe mich im Stillstand auf der Zufahrtsstraße zum Flughafen umher. Sitze und liege am Straßenrand im Gras und rauche Gras. Diese Karawane bewegt sich nach zweitausend ruhigen Atemzügen vermutlich nur einhundert beschauliche Meter. Ich rolle mit geöffneter Tür im Schritttempo, ohne Licht, nur die Glut leuchtet knisternd beim Ziehen im Rückspiegel. Ich genieße, wie sich frische Morgenluft mit Tabakgeruch vermischt und schaue mich um. Blicke stillen Atems in die friedlich schlafenden Gesichter meiner Freundschaften, wie sie eng beieinander auf der Rückbank liegen, sich die einzige Decke teilend - diese stinkenden, geblümten Decken, die seit Jahren unbenutzt in Autos liegen, wisst ihr?
Ich erlebe die intensivste Zeit meines Lebens, die Zeit, in der die Melancholie bestimmt, die Zeit der Suche nach der eigenen Liebe, nach Aufgabe, nach dem Weg zum Ziel. Hedonism klingt leise aus dem Radio und ja, es ist meine traurigste Zeit, meine glücklichste Zeit.
Wir passieren den Check In, suchen einen Parkplatz und schlagen das geräumigste Zelt von allen auf. Die Tage verbringen wir davor, mit direktem Blick auf die Bühne. Jeden Tag das gleiche beruhigende Szenario. Ich flacke auf meinem gestreiften Campingstuhl, jemand reicht mir Gegrilltes, reicht mir Bier, reicht mir Joints.
Der Wind weht mir Hedonism um die Nase, um die Ohren. Es ist der erste Song, zu dem ich mich während dieser Saison wieder erhebe, nachdem wir jemanden verloren haben.
Weit vor uns treibt feiner Sand in die Luft, mit ihm ein Rufen und ein Zelt. Der Kreisel nimmt sich die Zeit vielen Zelten zu begegnen, Schrecken zu bändigen und Rufe in den weiten Himmel verklingen zu lassen. Es ist ein bewegendes Schauspiel zu Hedonism.
Er kommt auf uns zu, wir klammern uns voller Aufruhr an unser geräumiges Zelt und ich spüre, wie die mächtige Kraft dieses Sturms versucht mich mitzunehmen. Ich möchte loslassen aber wie so oft, wage ich es nicht. Er hat meinen alten Campingstuhl weggetragen und ich beobachte, wie er ihn, für immer unerreichbar, in die weit entfernten, hohen Tannen fallen lässt.
Dies ist der erste Tag, an dem ich wieder tanze, Hacky-Sack spiele, Bungee springe, Bratwurst mit Pommes und Ketchup esse, nachdem wir jemanden verloren habe.